Führung im agilen (Spannungs)umfeld – Teil 2

Als Young Professional im Spannungsfeld zwischen Mut und Demut?

Jung, hervorragend ausgebildet und mit Bock darauf, sich zu engagieren und Dinge zu bewegen. Offen für Neues und auf der Suche nach Bestätigung und Sinn. So lernen wir bei uns Young Professionals kennen.

Enttäuscht, wenn das Feuer im Strategie-Komitee verglüht und nur noch Bruchstücke übrigbleiben. Gekränkt, wenn der „alte Haudegen“ die Hierarchiekarte auf den Tisch legt und Purpose für ihn nur eine Art Farbe ist. Auch so lernen wir Young Professionals kennen.

Als Lösung zur Balance dieser Polaritäten richtet sich der Blick häufig auf eine Veränderung, Weiterentwicklung vor allem der „alten Führungskräfte“. In der Regel haben Young Professionals darin wenig ToDos oder stehen „gefühlt“ irgendwo zwischen Leidtragenden und Revolution hero. Damit soll nicht die Verantwortung verschoben werden!

Aber die Realität zeigt, dass die nachhaltigsten Lösungen entstehen können, wenn beide (oder mehrere) Seiten ihre jeweilige Verantwortung annehmen und ihren Anteil zur Veränderung einbringen.

Und wir erleben auch, dass Young Professionals an aktiver Gestaltung von gemeinsamen Lösungen durchaus sehr interessiert sind, ihnen aber wenig konkrete Handlungsoptionen angeboten werden.

Eine Option kann sein, den Blick auf das Spannungsfeld Mut –Demut zu richten. Dass es Mut braucht, leuchtet irgendwie ein, aber was hat es mit der Demut auf sich?

Zum Thema „Young Professional im Spannungsfeld zwischen Mut und Demut“ stellt Andreas Hoffmann, Geschäftsführer der Professio GmbH, Fragen an Annabelle von Creytz und Markus Kruming, beide Trainer, Berater und selbst in Führungsposition.
 

Gibt es Elemente und Herausforderungen, die Ihr in der Praxis eher häufig bei Young Professionals erlebt, und was unterscheidet sich?

Es ist davon abhängig, wie agil das Umfeld ist und wie gut neue Arbeitsformen etabliert sind. Besonders in den Bereichen, wo agiles Arbeiten schon recht weit fortgeschritten ist. Es besteht aber immer die Herausforderung: Wie viel lässt man selbstorganisiert machen? – Wie viel kann man die Teams alleine machen lassen? – Wie weit sind das Team oder die Mitarbeiter in ihren Fähigkeiten?

Meine Erfahrung ist, bezugnehmend zum Beispiel auf das Buch „Selbstorganisation braucht Führung“ (Bori Gloger), dass Führung heute anders gemacht werden muss. Oft neigt man dazu, bei der Selbstorganisation zu denken „Okay, ich lass das jetzt alles die Mitarbeiter machen.“ Aber es ist sehr wichtig, hier Ownership zu verteilen. Man muss überlegen, wie viel Raum lasse ich, der wichtig ist, und wo braucht es Verantwortlichkeiten, um Themen voranzubringen? Wo werde ich möglicherweise auch etwas verlieren, weil ich zu viel Raum gebe oder weil sich vielleicht dann keiner mehr richtig zuständig fühlt. Das ist ein sehr wichtiges Spannungsfeld, auf das man schauen muss.

Wie schaue ich als Führungskraft dort hin? Wie kriege ich das raus? Was braucht es dazu, um hier eine gute Balance einzustellen?

Ja, gerade Young Professionals stehen oft vor einer sehr hohen multiplen Herausforderung. Es sind oft Menschen, die gerade aus ihrer Ausbildung, dem Studium kommen und letztendlich einen Lebensabschnitt abgeschlossen und einen neuen begonnen haben.

Das ist jetzt der Beruf, und da merken sie oft, dass sie als Young Professionals sehr schnell das Gefühl haben, dass der Beruf, der Job anders tickt als das, was sie eigentlich mitbringen. Ich erlebe es im Austausch, dass dies am Anfang tatsächlich erst mal mindestens Forderung, wenn nicht sogar eine Überforderung ist. Weil sie auf der einen Seite neue Kompetenzen, neue Dinge lernen müssen, die vorher gar nicht so wichtig waren. Und das ist vor allem im sozialen Umfeld zu sehen. Wie gliedere ich mich in der Hierarchie ein, wie positioniere ich mich da? Wie gehe ich mit meinen Führungskräften um? Wie agiere ich mit meinen Peers? Wie gehe ich zum ersten Mal mit den Dingen um, die vielleicht eine politische Komponente haben? Solche Dinge erfahren und erleben viele junge Mitarbeitenden in dem Berufsumfeld auch zum ersten Mal. Auch feststellen zu müssen, dass mit dem reinen fachlichen Wissen, mit dem sie kommen, dass das in manchen Situationen nicht so viel wert ist. Dass sie wieder in eine Lernphase kommen. Ich möchte was leisten, aber ich habe auch noch eine gewisse Unsicherheit bei bestimmten Dingen.

Und gleichzeitig haben sie auch eine Ambition zu sagen: „Ich möchte hier auch beruflich vorwärtskommen, ich möchte hier weiterkommen, ich möchte sichtbar sein, ich möchte auch was leisten.“ Möglicherweise auch gepaart mit privaten Dingen. Mit einer Partnerschaft, einer Beziehung, da baut sich gerade etwas auf.

Das meine ich mit dem multiplen Spannungsfeld. Und dieses Spannungsfeld ist, glaube ich, eine sehr prägende erste Phase, in der es darum geht, eine hohe Lernkurve zu entwickeln und trotzdem eine gewisse Unsicherheit zu haben, sich in einem neuen Umfeld zu bewegen.

Vielen Dank, Markus. Annabelle, ich habe Dich immer wieder nicken gesehen, als Markus sprach. Was sind für Dich die Kernelemente gerade für Young Professionals, die als Herausforderungen auftreten, wenn sie in Führungspositionen sind?

Ich kann Markus in allem zustimmen. Im Moment sind wir in einem riesigen Wandlungsprozess. Wir haben eine Krise nach der anderen, und es sind wirklich richtig unruhige Zeiten.

Ich erlebe, dass es auch hier wichtig ist, über Haltung zu sprechen. Die jungen Menschen sind viel flexibler. Sie können sich viel schneller auf diese wechselnden Veränderungen einstellen. Es ist überhaupt gar kein Problem, mit vielen verschiedenen Systemen auch schnell zu arbeiten, was natürlich unheimlich effektiv ist und sehr hilfreich.

Aber dann Verständnis zu haben, dass sie in ein System kommen, das über Jahre aufgebaut worden ist, wo eine Verzielung noch gar nicht angepasst ist. Zum Beispiel auf das agile Management oder auch auf Haltung oder auf andere softe Themen.

Da ein Verständnis zu entwickeln, dass es jetzt einen Übergang braucht. Eben auch zu wertschätzen, was geleistet worden ist in dem System. Einen Blick drauf zu haben, okay, wo kann ich was einbringen. Wo lasse ich mich aber auch nicht frustrieren, weil ich auf einen großen Tanker stoße in meinem Unternehmen. Wo akzeptiere ich es auch und habe Verständnis für das, was bisher geleistet worden ist? Wie trage ich dazu bei, etwas Neues zu schaffen?

Das erlebe ich als ein großes Thema, auch von älteren Führungskräften. Wirklich gemeinsam etwas voranzubringen, weil weder die einen noch die anderen Verständnis haben füreinander. Hier liegt in kleinen Haltungsänderungen eine sehr große, positive Hebelwirkung.

Wenn Du maximal drei Kernpunkte hättest für Menschen, die jung in Führungspositionen sind oder neu, was wären das für Kernelemente? Oder Eckpunkte, an denen man sich orientieren kann und sagen kann, so lässt sich das eine oder andere im beruflichen Umfeld aufbauen?

Das eine ist auf jeden Fall Wertschätzung. Eine gewisse Demut-Haltung und dabei gleichzeitig mutig zu sein, eine Vision zu haben und Ziele zu haben. Darin sehe ich die größte Chance und auch Herausforderung.

Eine Vision zu haben, sich Ziele zu setzen, auch wenn ich weiß, es verändert sich wieder. Das ist nach wie vor ein Schlüssel, um erfolgreich zu sein.

Vielen Dank, Annabelle. Markus, was würdest Du hinzufügen?

Also, ich glaube, dieses Spannungsfeld zwischen Mut und Demut ist tatsächlich ein ganz wichtiger Aspekt. Mutig in der Art und Weise zu sagen, ich bringe hier auch was ein, ich bringe hier vielleicht etwas Neues ein, was vielleicht noch nicht etabliert ist, weil ich halt aus einer

anderen Generation komme, weil ich mit einer anderen Art des Zusammenarbeitens komme. Da den Mut einzubringen, das Neue zu wagen, auch mit dem Risiko, dass es durch das System momentan vielleicht nicht sofort aufgenommen wird.

Es stellt sich die Frage, was ist der Mehrwert der jungen Leute, der jungen Führungskräfte? Es ist nicht die 20-jährige Erfahrung. Sie können nicht punkten mit ganz komplexen Sachverhalten, die man mit sehr viel Fingerspitzengefühl und mit sehr viel Erfahrung managt.

Aber was sie einbringen können, ist die Frische, dieses Neue, eine neue Art, auf Menschen zuzugehen, eine neue Art der Zusammenarbeit zu leben. Eine neue Art des kollaborativen Zusammenarbeitens. Das machen Young Professionals nämlich sehr, sehr gut. Da können die alten Führungskräfte sich noch eine Scheibe abschneiden.

Also die Dinge mutig voranzubringen, aber dabei trotzdem Demut zu haben, wie du auch gesagt hast, Annabelle. Wichtig ist aus meiner Sicht zu sagen, ich hab hier auch noch was zu lernen, ich darf nicht in die Hybris verfallen zu sagen, ja, ich weiß schon, wie es läuft. Und ich muss mir auch anschauen, wie machen es die älteren Führungskräfte? Wie schaut die Organisation aus? Wie wächst die Organisation, was sind Themen, die da eine Rolle spielen? Wie schaut die Organisationskultur aus? Wie kann ich mich da bewegen? Und was muss ich noch lernen? Das bedeutet auch zu lernen, in der Organisationskultur und ‑struktur zu agieren und wirksam zu sein. Und natürlich ohne dass mich das System einfach wieder ausspuckt. Zum Beispiel, weil ich irgendwie inkompatibel mit dem Team bin. Dann spuckt mich das System wieder aus. Dann passe ich nicht dazu.

Für dieses Lernen braucht es auch eine gewisse Demut, um diese Balance zu finden. Das ist, glaube ich, für Young Professionals, gerade im Führungsbereich, besonders entscheidend.

Oft ist es ja so, dass junge Führungskräfte ältere Mitarbeiter führen. Es kommt immer wieder vor, dass Führungskräfte Mitarbeiter:innen im Team haben, die 20 Jahre älter sind. Die sind schon mit allen Wassern gewaschen, und das kann eine sehr schwierige Herausforderung sein.

Ich würde fast dazu tendieren zu sagen, die erste Führungserfahrung, auf Fachebene in die Führungsebene reinzugehen als junger Mensch, ist möglicherweise die schwierigste Einführungsphase überhaupt, die wir haben können, und die hat man dann gleich in jungen Jahren.

Annabelle, Markus, vielen Dank für den Erfahrungsaustausch und Eure Blickwinkel.

Autor:in

Management-Berater, Professio-Geschäftsführer

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