Body and Soul

Teil 1: Autonomie & Achtsamkeit als Basis gelungener Teamprozesse

In einem Workshop auf dem 44. DGTA-Kongress in Osnabrück beleuchtete Jutta Kreyenberg verschiedene (TA-) Modelle für Bindung und Kontakt und betrachtete Wege, wie wir in Begegnung, Kontakt und BIndung treten. EIn Bericht mit Übungen zur Reflexion.

Menschen entwickeln sich überwiegend in Beziehungen mit anderen. Soziale Verbindungen fördern sowohl unsere Autonomie als auch unser Wohlbefinden. Ich werde hier aufzeigen, dass Autonomie (nach Berne 1967, Schlegel 1993, Stewart & Joines 1990, Lenhardt 1992) erforderlich ist, um einen erfüllenden Kontakt herzustellen. Im Prozess der Kontaktaufnahme ist es ebenfalls hilfreich, sich der eigenen Beziehungsbedürfnisse und -ängste (Erskine 1997, Riemann 1961, Eidenschink 2003) bewusst zu werden. Bindung ist kein statisches Geschehen, sondern ein Prozess, der im Bindungszyklus (Kohlrieser 2012, Hellinger 2010) deutlich wird. Um Beziehungen aufrecht zu erhalten, helfen verschiedene Möglichkeiten der Beziehungspflege (Gottmann & Silver 2000), der Dialog (Bohm 1996) und das Vermeiden von Dialogblockaden.


Übung 1: Einstieg in Achtsamkeit
  • Unterbrich alle Tätigkeiten und mache eine Minute Pause.
  • Nimm mehrere tiefe Atemzüge, du darfst auch die Augen schließen.
  • Werde dir bewusst, was gerade in dir vorgeht, welche Gedanken, Empfindungen, Gefühle und Vorstellungen du gerade hast.
  • Welche Bedürfnisse leiten dich?

Autonomie

Autonomie, die Berne (1967) als Synonym für Gesundheit definiert, umfasst

  • unvoreingenommene sinnliche Wahrnehmung (awareness),
  • unverfälschte Gefühle (spontaneity) und
  • vorbehaltslose, ehrliche, offene Beziehungen (intimacy).

Insofern beinhaltet Autonomie die Fähigkeit zu Bindung und Beziehung. Andererseits benötigt eine gelungene Beziehung jedoch Eigenständigkeit und Symbiosefreiheit im Sinne von Mut, die Verantwortung für eigene Gefühle und Entscheidungen zu übernehmen, die Fähigkeit, die Realität klar zu sehen und Probleme eigenständig zu lösen. „Nach Berne ist autonom, wer ... frei über seine Ich-Zustände verfügen kann sowie keine symbiotische Haltung einnimmt.“ (Schlegel 1993, S. 22).

Im Kontext alltäglicher Abhängigkeiten von anderen Menschen, sei es in privaten Beziehungen oder strukturell bedingt durch Über- und Unterordnungen in Organisationen, ist es allerdings wichtig, reale Abhängigkeiten und symbiotische, dysfunktionale Abhängigkeiten zu unterscheiden.

Eine sinnvolle Erweiterung der Autonomiedefinition findet sich bei Stewart & Joines (1990, S. 382). Sie bezeichnen Autonomie als alles „…Verhalten, Denken oder Fühlen, das eine Reaktion auf die Realität im Hier und Jetzt darstellt und nicht eine Reaktion auf Skriptüberzeugungen“.


Übung 2: Autonomie 

Falte ein Blatt. Schreibe auf die eine Seite, was dir wichtig ist, deine (Lebens-) Ziele, deine Prioritäten. Dann nimm die andere Seite und schreibe auf, womit du in den letzten Wochen deine Zeit verbracht hat. Klappe das Blatt auf und reflektiere über die Unterschiede. Wie kannst du mehr Autonomie und Stimmigkeit zwischen innerem Bild/Ziel und Realität erreichen?


Autonomie ist in der Regel kein erreichter Status, sondern ein schrittweiser Prozess, sowohl für Individuen als auch für Teams. Lenhardt (1992) beschreibt vier Phasen der Autonomieentwicklung von der Abhängigkeit (Menschen fügen sich symbiotisch ein und folgen Anweisungen, erleben dabei aber wenig Eigenständigkeit), über die Gegenabhängigkeit (Rebellion und Widerstand), die Unabhängigkeit (Strukturelle Trennung ermöglicht echte Eigenständigkeit, oft jedoch auf Kosten von Bezogenheit) bis hin zur wechselseitigen Abhängigkeit (Eigenständigkeit wird in Verbindung mit Kooperation gelebt). In einer fünften Phase geht es darum situativ flexibel zwischen den verschiedenen Beziehungsformen zu wechseln (z.B. die umgekehrte Symbiose bei pflegebedürftigen Eltern).

Nicht nur Stewart & Joines' (1990) Definition lässt Meditation, Achtsamkeit und andere Formen der Spiritualität anklingen. So beschreibt auch Lenhart (1992) spirituelle Ebenen, die den Entwicklungsphasen der Autonomie folgen: die Stufen des existentiellen, des spirituellen und des konfessionellen Sinns. Dabei steht „Spiritualität … für all das, was die eigene Person transzendiert“ (Lenhardt 1992, S. 87).


Übung 3: Intimität

Suche dir einen Menschen in diesem Raum. Stellt euch einander gegenüber und schaut den anderen 2 Minuten an. Auswertung: Wie ist es mir ergangen? Welche Reaktionen kann ich mental und körperlich beobachten?


Diese Übung macht deutlich, dass es hilfreich ist, einen Raum zu schaffen für Begegnung, Interesse zu zeigen (von lat. inter-esse „dazwischen sein“).

Beziehungsbedürfnisse

Die Beziehungsbedürfnisse eines Menschen sind essenziell für die Lebensgestaltung und die Qualität des Lebens. Sie beeinflussen die Vitalität, die emotionale Ausgeglichenheit und die Stabilität zwischenmenschlicher Beziehungen.

Erskine (1997) identifiziert acht zentrale Bedürfnisse, die als Grundlage für sichere und erfüllende Beziehungen dienen:

  • Sicherheit: Das Gefühl, dass unsere Verwundbarkeit respektiert und geschützt wird.
  • Anerkennung: Die Bestätigung unserer Affekte, Gedanken und Deutungsmuster durch andere.
  • Akzeptanz: Schutz, Ermutigung und konstruktive Informationen.
  • Bestätigung der persönlichen Erfahrung: Das Bedürfnis, dass uns nahestehende Personen in unserer Wahrnehmung unterstützen.
  • Selbstdefinition: Die Freiheit, die eigene Einzigartigkeit zu erkennen und auszudrücken.
  • Wirkung haben: Andere beeinflussen und in eine gewünschte Richtung lenken können.
  • Aktiviert werden: Den Wunsch, dass andere die Initiative ergreifen, um eine Verbindung herzustellen.
  • Liebe ausdrücken: Anderen Wertschätzung und Zuneigung zeigen.

Übung 4: Beziehungsbedürfnisse

Tausche dich aus, welche dieser Beziehungsbedürfnisse dir wichtig sind, welche erfüllt sind, wo du einen Mangel erlebst.


Wenn diese Bedürfnisse unbefriedigt bleiben, entwickeln sich daraus Sehnsüchte, Leidenschaften oder konflikthafte Verhaltensweisen. Werden sie langfristig vernachlässigt, bilden sie die Grundlage für Skriptmuster und dysfunktionale Beziehungsmuster.

Spannungsfelder in Beziehungen

Erskine (1997) beschreibt ebenfalls drei Kategorien der Beziehungsdynamik, die sich auf die Sicherheit in Beziehungen beziehen:

  • Ähnlichkeit vs. Einzigartigkeit: Die Balance zwischen gemeinsamen Eigenschaften und individueller Identität.
  • Liebe geben vs. Liebe nehmen: Der Ausgleich zwischen Zuneigung schenken und empfangen.
  • Selbst wirksam sein vs. offen sein für die Wirkung anderer: Das Streben nach Einfluss und die Bereitschaft, sich von anderen beeinflussen zu lassen.

Bereits Riemann (1991) hat in seinen „Grundformen der Angst“ schon bedeutsame Spannungsfelder beschrieben – er spricht davon, dass unser Umgang mit Konflikten und Herausforderungen oft durch Ängste geprägt ist, die uns dazu bringen, gegensätzliche Bedürfnisse überzubetonen. Er geht sogar so weit, dass er von Persönlichkeiten je nach Beziehungsangst spricht. Er unterscheidet zwei zentrale Bedürfnisdimensionen mit jeweiligen Polaritäten:

  • Bindung: Das Wechselspiel zwischen Nähe (ermöglicht Vertrautheit und Geborgenheit) und Distanz (Raum für Eigenständigkeit und Selbstreflexion).
  • Selbstbestimmung: Die Polarität zwischen Freiheit (ermöglicht Veränderung und Flexiblität) und Sicherheit (bietet Stabilität und Orientierung).

Hinter jedem überbetonten Bedürfnis liegt eine gegensätzliche Angst: Zum Beispiel entsteht die Betonung von Nähe aus der Angst vor Isolation, während das Streben nach Distanz die Angst vor Vereinnahmung reflektiert.

Eidenschink (2003) erweitert Riemanns Modell, indem er eine dritte Dimension zur Regulation des Wohlbefindens einführt (Abb. 1):

  • Selbstwert/Selbstachtung: diese Dimension wird geprägt durch die Balance zwischen Einzigartigkeit und Zugehörigkeit.

Wohlbefinden entsteht, wenn wir diese Dimensionen bewusst regulieren. Die Fähigkeit, diese Widersprüche zu erkennen und auszubalancieren, ist nicht nur eine wichtige Voraussetzung für gelungene Beziehungen, sondern auch essenziell für persönliches Wachstum, das persönliche Wohlbefinden und den Umgang mit Unsicherheiten in einer komplexen Welt.

Abb. 1: Grundbedürfnisse zur Regulation des Wohlbefindens (nach Klaus Eidenschink)


Übung 5: Spannungsfelder in Beziehungen

Lege das Modell im Raum aus, spüre den einzelnen Feldern nach:

  • Wie ergeht es mir in den einzelnen Feldern? Was ist körperlich, seelisch, psychisch spürbar?
  • Wie erlebe ich die einzelnen Spannungsfelder:Bindung: Wie viel Nähe oder Distanz ist nötig, um stabile Beziehungen oder Netzwerke aufzubauen Selbstbestimmung: Wo liegt das Gleichgewicht zwischen Freiheit und Sicherheit? Selbstwert: Wie lässt sich das Bedürfnis nach Einzigartigkeit mit dem Wunsch nach Zugehörigkeit vereinen?

Literatur:

Berne, Eric, 1967, Spiele der Erwachsenen, Rowohlt, Reinbek
Bohm, David, 1996, On Dialogue, Routledge, London
Eidenschink, Klaus, 2003, Regulation des Wohlbefindens, www.eidenschink.com
Erskine, Richard G., 1997: Integrative Psychotherapy in Action. Routledge, New York
Gottman, John M.  & Silver, Nan, 2000, Die 7 Geheimnisse einer glücklichen Ehe, Ullstein Verlag
Hellinger, Bert, 2010, Ordnungen der Liebe: Überblick, wie die Liebe gelingt, Hellinger Publication
Kohlrieser, George, 2012, Care to Dare: Unleashing Astonishing Potential Through Secure Base Leadership, Jossey-Bass
Lenhardt, Vincent 1992, Ein Stufenmodell zur Entwicklung der Autonomie, in Lenhardt, Vincent & Kottwitz, Gisela: Integrative Transaktionsanalyse S. 75 – 98
Riemann, Fritz (1961): Grundformen der Angst: Eine tiefenpsychologische Studie. Ernst Reinhardt Verlag, München
Schlegel, Leonhard 1993, Handwörterbuch der Transaktionsanalyse, Herder, Freiburg
Stewart, Ian & Joines, Vann, 1990, Die Transaktionsanalyse, Herder, Freiburg

Autor:in

Management-Beraterin und Lehrtrainerin

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