Passivität und Symbiose I

Agile Unternehmenskultur in Zeiten der Krise – Im Spannungsfeld zwischen Wunsch, Widerstand und Chance

Viele Unternehmen haben sich auf den Weg zu einer selbstorganisierten, agilen Kultur gemacht. Das Aufbrechen alter Strukturen, transformationale Führung, flache Hierarchien, Führung auf Augenhöhe – das alles sind inzwischen nicht nur theoretische Zielbilder, sondern durchaus tragfähige Konstrukte. Oft noch in den Anfängen, werden diese Idealbilder verantwortungsvoller, selbstorganisierter Mitarbeiter:innen und Teams jedoch durch Homeoffice und das damit verbundene remote Leadership stark auf den Prüfstand gestellt.

Jutta Kreyenberg erläutert, wie Krisen und schnelle Veränderungen zu Widerstand und Passivität führen können.

Symbiose und Passivität: Das Grundkonzept

Ein hilfreiches Konzept für die Beeinflussung von Selbstorganisation und einer agilen Unternehmenskultur ist das Modell der Symbiose und damit verbundenen passiven Verhaltensweisen (ein Modell aus der systemischen Transaktionsanalyse).

Zu einer Symbiose kommt es, wenn zwei Menschen sich (auf einer unbewussten Ebene) wie eine Person verhalten – die eine übernimmt eher die Rolle des sorgenden, verantwortlichen, steuernden und kontrollierenden Parts, die andere Person eher die Rolle des folgenden, nehmenden, sich anschließenden Parts.

Einerseits kann man hier von einer Dynamik von Persönlichkeitsanteilen sprechen, die aufgrund unseres menschlichen Aufwachsens immer wieder zusammenfinden: die eine Person eher elterlich, die andere eher kindlich. Gesund und funktional ist so eine Eltern-Kind-Symbiose jedoch naturgemäß nur zeitlich beschränkt. Wenn wir uns allerdings in ambivalenten, stressigen, unsicheren, komplexen Situationen mit hoher und kaum steuerbarer Veränderungsgeschwindigkeit wiederfinden, versucht die menschliche Psyche unbewusst, Sicherheit in genau solchen symbiotischen Systemen zu finden. Der Ruf nach „klarer Führung“, eindeutigen Regeln, Sicherheit und Ordnung wird laut, wenn die eigenen Stressbewältigungsmöglichkeiten ausgereizt sind. Und: Dies findet sich auch in Organisationen.

Passivität und Symbiose aus organisationaler Sicht

Hier sind jedoch die Unternehmenskultur und -dynamik bedeutsam: Menschen fallen umso mehr in solche Beziehungsmuster, je hierarchischer ein Unternehmen organisiert ist bzw. hierarchische Unterschiede lebt. So übernimmt dann die eine Person die Rolle der Führungskraft, der „Weisungsbefugten“, die anderen sind „Angestellte“, „Befehlsempfänger“ – ein altes Muster von Befehl und Gehorsam, Unter- und Überordnung. Man spricht hier auch von Rollensymbiosen, die eher ein systemischer Ausdruck von Dynamik und Kultur in Organisationen als von Persönlichkeit sind.

Von Change-Modellen ist bekannt, dass die Veränderungsdynamik oft dem Muster der Homöostase folgt: je mehr Veränderung, desto mehr Widerstand. Dadurch wird ein System in der gewohnten Balance gehalten. Auf der psychischen und den Interaktionsebenen sind Symbiosen somit das Öl im Getriebe der Organisationskultur, das für Kontinuität und Stabilität sorgt.

Im Verhalten drückt sich eine symbiotische Kultur aus in sogenannter „Passivität“, wobei darunter alle Verhaltensweisen verstanden werden, die NICHT das Problem lösen, also dysfunktionales Problemlöseverhalten darstellen. Es werden vier Eskalationsstufen unterschieden.

  1. Beim Nichtstun ist die Energie darauf gerichtet, jede Handlung zu unterbinden, also abwarten, still halten, Dienst nach Vorschrift etc.
  2. Bei der Überanpassung wird die Energie darauf verwendet, Erwartungen vorwegzunehmen und dementsprechend zu handeln, z.B. Überstunden zu machen oder dem Chef nicht zu widersprechen. Da es sich hier um unausgesprochene, phantasierte Erwartungen handelt, laufen diese Anstrengungen oft ins Leere.
  3. Bei der Agitation wird die Energie in nicht zielgerichtete Handlungen investiert, frei nach dem Motto „Gestern standen wir vor dem Abgrund, heute sind wir einen Schritt weiter.“ Es wird viel und oft Widersprüchliches unternommen, ohne die Sinnhaftigkeit oder Wirksamkeit zu überprüfen.
  4. Die letzte Stufe, nämlich Gewalt oder Selbstbeeinträchtigung, stellt eine Eskalation nicht problemlösungsorientierter Energie dar, sei es z.B. in Form von Amoklaufen oder Burnout.

Diese Verhaltensweisen dienen alle der Aufrechterhaltung der angestrebten Symbiose – eher unbewusst aufgrund von Stress, Hilflosigkeit oder mangelnder Resilienz. Neben den angstbesetzten Verarbeitungsversuchen existenzgefährdender Disruptionen können auch viele Reaktionen auf die aktuellen Krisen und Unsicherheiten mit diesem Modell erklärt werden.

Symbiose und Passivität: Hemmschuh für neue Entwicklungen

Neue Modelle wie New Work, digitale Führung oder Agilität sind von solchen Gefährdungen nicht ausgeschlossen – je nachdem, wie eine verantwortliche und selbstorganisierte autonome Kultur gelebt wird und was die darin tätigen Menschen von ihrer Herkunft und organisatorischen Sozialisation gewohnt sind, funktionieren Kollaboration und Teamsteuerung unterschiedlich.

Wie Sie die Unternehmenskultur als Führungskraft, Mitarbeitende oder Coach konstruktiv beeinflussen können, erfahren Sie im zweiten Teil des Beitrags.

Autor:in

Managementberaterin und Lehrtrainerin

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