Gelungene Bindungen
Spätestens in den aufgezeigten Polaritätsmodellen wird deutlich, dass Bindung kein statisches Geschehen, sondern ein Prozess ist. Der Bindungszyklus, wie von Kohlrieser (2012) beschrieben, zeigt, wie Bindungen entstehen, sich verändern und enden.
Der Zyklus umfasst vier Phasen (Abb. 2):
- Attachment (Annäherung): Die verschiedenen Beziehungsbedürfnisse sind wie soziale Hunger, die uns Kontakt aufnehmen lassen. In dieser Phase ist eine Offenheit nötig, so wie der Säugling die Arme zur Mutter ausstreckt.
- Bonding (Bindung): Wird der Kontakt vertieft, entsteht durch positive Interaktionen und Erfahrungen Zuneigung, Bindung und Nähe. Diese Phase ist geprägt durch Gefühle der Freude und Liebe.
- Separation (Trennung): Jede Beziehung geht im Ganzen zu Ende, wird aber auch durch tägliche Abschiede (jede/r geht seiner Wege) oder Konflikte geprägt. Separare (lat.) = absondern, trennen, hier gilt es, sich innerlich auf die bevorstehende Trennung vorbereiten und einen positiven Abschied gestalten.
- Grieving (Trauerarbeit): Diese Phase umfasst Gefühle der Trauer, Wut, Angst und schließlich Akzeptanz. Die Auseinandersetzung mit dem Verlust ist essenziell, um emotionale Wunden zu heilen und Raum für Neues zu schaffen.
Wird der Zyklus konstruktiv durchlaufen, besteht die Bereitschaft für neue Kontakte, neue Bindungen. Störungen können in jeder Phase stattfinden: Es ist keine Zeit für die Trauerarbeit, Gefühle werden nicht zugelassen oder festgehalten, es entsteht eine Ambivalenz zwischen Loslassen und doch noch gebunden bleiben, oder Menschen kapseln sich aufgrund zu vieler schmerzhafter Erfahrungen ab und lassen sich nicht wirklich auf das Neue ein.
Dieses Modell ist hilfreich, um das Gelingen von Bindungen zu reflektieren: sowohl in privaten Beziehungen, in Teams und beruflichen Kontexten als auch an Ziele, Gegenstände, den Beruf oder berufliche Projekte.
Abb. 2: Bindungszyklus (nach George Kohlrieser)

Bindung ist nach Hellinger (2010) eine der wesentlichen Voraussetzungen für funktionierende Arbeitsbeziehungen. Drei zentrale Prinzipien sind hier ausschlaggebend, die von Hellinger auch als „Ordnungen der Liebe“ bezeichnet werden:
- Bindung und Existenz: Jedes Mitglied eines Familiensystems hat ein grundlegendes Recht auf Zugehörigkeit. Die Anerkennung dieser Zugehörigkeit ist entscheidend für das individuelle Wohlbefinden und die Harmonie innerhalb des Systems.
- Ordnung: In einem Beziehungssystem wie der Familie oder der Organisation existiert eine natürliche Hierarchie, basierend auf dem Zeitpunkt des Eintritts in das System. Eltern haben beispielsweise einen höheren Rang als ihre Kinder, Kinder jedoch haben als die nachfolgende Generation Vorrang. Weitere Ordnungskriterien sind Verantwortung und Kompetenz. Diese Kriterien sind nicht immer widerspruchsfrei – ihre Anerkennung und Respektierung fördern jedoch Gleichgewicht und die Stabilität innerhalb des Systems.
- Ausgleich von Geben und Nehmen: Funktionierende Beziehungen basieren auf einem ausgewogenen Austausch. Ein Gleichgewicht zwischen Geben und Nehmen stärkt die Bindung und verhindert Ungleichgewichte, die zu Konflikten führen können.
Übung 6: Bindung
Tauscht euch aus über „Was erzeugt Bindung aus eurer Sicht“?
Beziehungspflege
Gottman & Silver (2000), haben in ihren Forschungen und Beobachtungen grundlegende Pflegefaktoren für gelingende Beziehungen identifiziert. Diese sind:
- sich über die Gepflogenheiten, Gewohnheiten, Bedürfnisse des anderen informieren
- den anderen bewusst anerkennen und wertschätzen
- aufeinander zugehen, statt abwenden
- sich vom anderen beeinflussen lassen, statt stur bleiben
- Probleme aktiv lösen
- Pattsituationen überwinden
- einen gemeinsamen Sinn, ein übergreifendes Ziel schaffen
Als äußerst schädlich für Beziehungen werden die sog. „Vier apokalyptischen Reiter“ identifiziert, die es gilt zu vermeiden:
- Kritik
- Verachtung
- Rechtfertigung
- Mauern
Sie führen dauerhaft zur Schädigung einer Beziehung und können nur durch den mehrfachen Einsatz positiver Beziehungspflege (es wird von einem Verhältnis von 5:1 oder sogar 7:1 gesprochen) wieder ausgeglichen werden.
Insbesondere Wertschätzung ist sowohl in Zweier- oder Dreierbeziehungen als auch in Teams für das Überwinden von Stress- und Krisenzeiten von großer Bedeutung.
Der Dialog
Ein Dialog ist ein ganzheitlicher Austausch, eine Vernunft (Logos) zwischen Zweien (Dia). Der Austausch findet über Energie statt. Übertragungsorgane für diese Energie sind die Sinnes- und Sexualorgane, die Stimme und Gesten (s. Kohlrieser 2012, siehe Abb 3).
Abb. 3: Der Dialog nach George Kohlrieser

Viele Modelle betonen die Bedeutung des Dialogs für gelungene Beziehungen – hervorgehoben sei hier das Modell von Bohm (1996), das den Dialog in Gruppen fördert durch:
- Suspendieren von Urteilen: eigene Vorannahmen bewusst zurückstellen
- Kollektives Denken: gemeinsames Erkunden von Ideen ohne Debatte
- Erforschung von Grundannahmen: Hinterfragen von Glaubenssätzen und Perspektiven
Dialog-Blockaden sind Blockierungen zwischen dem Ich und dem Du, ein Energiestau, eine dysfunktionale Dynamik. Dialogblockaden liegen innerlich Abwertungen zugrunde und drücken sich äußerlich als Redefinitions-Transaktionen aus. Wir unterscheiden:
- nichts tun
- schlecht machen, abwerten
- zu viel Rationalität
- zu viel Emotion
- zu wenig Aufrichtigkeit
- umdeuten, interpretieren
- Übertreibung
- zu abstrakt
- zu detailliert
- zu wenig Direktheit
Übung 7: Beziehungspflege
Überlege dir eine Beziehung oder ein Team und überlege:
- Welche apokalyptischen Reiter sind dir begegnet?
- Was könntest du dazu beitragen, die Beziehung zu verbessern?
Literatur:
Berne, Eric, 1967, Spiele der Erwachsenen, Rowohlt, Reinbek
Bohm, David, 1996, On Dialogue, Routledge, London
Eidenschink, Klaus, 2003, Regulation des Wohlbefindens, www.eidenschink.com
Erskine, Richard G., 1997: Integrative Psychotherapy in Action. Routledge, New York
Gottman, John M. & Silver, Nan, 2000, Die 7 Geheimnisse einer glücklichen Ehe, Ullstein Verlag
Hellinger, Bert, 2010, Ordnungen der Liebe: Überblick, wie die Liebe gelingt, Hellinger Publication
Kohlrieser, George, 2012, Care to Dare: Unleashing Astonishing Potential Through Secure Base Leadership, Jossey-Bass
Lenhardt, Vincent 1992, Ein Stufenmodell zur Entwicklung der Autonomie, in Lenhardt, Vincent & Kottwitz, Gisela: Integrative Transaktionsanalyse S. 75 – 98
Riemann, Fritz (1961): Grundformen der Angst: Eine tiefenpsychologische Studie. Ernst Reinhardt Verlag, München
Schlegel, Leonhard 1993, Handwörterbuch der Transaktionsanalyse, Herder, Freiburg
Stewart, Ian & Joines, Vann, 1990, Die Transaktionsanalyse, Herder, Freiburg