New Work – Methoden des Konfliktmanagements im agilen Bereich

Teil 1: Selbsterfahrung und Autonomieentwicklung

Als lehrende Transaktionsanalytikerin legt Jutta Kreyenberg großen Wert auf klare, pragmatische Konzepte, die gleichzeitig Energie und Motivation wecken. Dabei ist Sie eklektisch und verbindet gerne TA-Ansätze mit anderen Konzepten. In diesem Artikel werden einige Methoden der TA erläutern, die nützlich sind für das Konfliktmanagement zu Zeiten von New Work und agilem Arbeiten. 

Unter New Work wird die Ausrichtung der Arbeit darauf verstanden, den Menschen zu stärken und zu befähigen. New Work als „die Arbeit, die ein Mensch wirklich wirklich will“ ist laut Fritjhof Bergmann (2017, s. auch 2020, 2021) durch Selbstverwirklichung, Sinnhaftigkeit, Freiheit und Selbstständigkeit gekennzeichnet.

Auf dieses Motto von New Work wirkte die Notwendigkeit des mobilen Arbeitens während der Corona-Pandemie wie ein Katalysator. Die überwältigende Mehrheit der Unternehmen hat nun eine Regelung, die an ein bis drei Tagen in der Woche das Arbeiten an einem Ort der Wahl, meistens von zu Hause aus ermöglicht. Natürlich sind einige Berufe davon nicht berührt, aber vielen Menschen ist die Möglichkeit ergeben, sich ihre Arbeit und Arbeitszeit zumindest zeitweise relativ selbstbestimmt und frei zu gestalten.

Die schon vor der Pandemie vorhandene Umwälzung der Arbeit Richtung Agilität hat ebenfalls viele der Visionen des New Work aufgegriffen. Selbstorganisation, die Arbeit in agilen Teams, das Bemühen um Sinnhaftigkeit, Nachhaltigkeit und soziales Engagement in Unternehmen haben bereits die alte Form der Lohnarbeit zu Zeiten Bergmanns in den 1980er Jahren verändert.

Vor allem das selbstgesteuerte Zusammenarbeiten von Teams steht momentan im Mittelpunkt der Entwicklung. War es zu Beginn der agilen Bewegung die Hoffnung, Konflikte durch gute Tools zu vermeiden, so hat die Erfahrung gezeigt, dass auch agile Teams nicht konfliktfrei sind bzw. im Gegenteil oft auch Harmoniebedürfnisse und die Scheu vor Konflikten Lösungen verhindern.

Deshalb liegt in diesem zweiteiligen Artikel der Fokus auf der Steigerung der Konfliktfähigkeit agiler Teams. Bis ein Team wirklich selbstverantwortlich, sinnerfüllt, innerlich motiviert und effizient arbeiten kann, ist eine Reise nötig, die von innen nach außen erfolgen sollte. Dabei werden drei Punkte erläutert:

  1. Selbsterfahrung und Autonomieentwicklung (Teil 1)
  2. Methoden des Bondings und der Dialogorientierung (Teil 2)
  3. Ein Anwendungstool zum Umgang mit Konflikten: Radical Collaboration (Teil 2)

Die beiden ersten Stufen fokussieren auf Konfliktprävention und frühzeitige Deeskalation, die dritte ist ein praktisches Tool zur Bewältigung auftretender Konflikte – nach Möglichkeit innerhalb des Teams. In der agilen Welt streben Menschen möglichst viel Selbstorganisation an – das betrifft auch die Konfliktlösung. In hierarchisch-arbeitsteiligen Organisationen müssen Konflikte häufiger durch die Hinzuziehung einer dritten Partei gelöst werden (s. auch Kreyenberg 2005). War die Delegation von Konflikten an eine dritte Partei (Richten, Schlichten, Mediation, Moderation) in der Menschengeschichte zunächst eine Errungenschaft, so fehlt bei agilen selbstorganisierten Teams oft die dritte Instanz. Ist sie nicht mehr nötig? Das ist unwahrscheinlich. Aber bei entsprechender Qualifikation wird sie seltener erforderlich sein, und es kann auch dann eine Person aus dem Team eine mediatorähnliche Funktion übernehmen.

Zum Beispiel ist Jana in einer agil strukturierten Organisation Projektleiterin. Sie berichtet im Coaching von einem Konflikt, der typisch ist für Projekte: Es wurde ein Mitarbeiter, nennen wir ihn Tim, von seiner Führungskraft (Michael) für ihr Projekt freigestellt, der dann jedoch keine Zeit hatte. Hier unterstützen TA-Konzepte wie ein klares Contracting oder die Kenntnis um latente Transaktionsebenen. Jana holte beide an den Tisch, klärte die Verfügbarkeiten und Ressourcen und vermittelte das Finden von Lösungen.

Selbsterfahrung und Autonomieentwicklung

Sich selbst zu kennen ist die Voraussetzung für gelingende Kommunikation und Teamwork. Eine wichtige Grundlage ist die Kenntnis und das jeweilige Spüren der eigenen Grundbedürfnisse und Beziehungsbedürfnisse. Letzteres hat schon Thomas Lorenzen beschrieben (z.B. "Spielregeln im Konflikt: Bedürfnisse erkennen und Gefühle respektieren" oder "Erwartungen an den Schlichter: Mit welcher Einstellung Mediation gelingen kann"). Achtsamkeit für das Erfüllen von Grundbedürfnissen beugt Stress und Konflikten vor.

Unterschieden werden in der TA drei zentrale psychologische Grundbedürfnisse, die auch „Hunger“ genannt werden:

  • Hunger nach Zuwendung/Anerkennung
  • Hunger nach positiver Stimulierung, Freiheit und Autonomie
  • Hunger nach Struktur und Sicherheit

In Stress- oder Konfliktsituationen ist oft eines dieser Bedürfnisse nicht erfüllt, z.B. fehlt die Wertschätzung oder die Struktur ist unklar oder es macht keinen Spaß mehr. Hier ist es sinnvoll, Rituale einzuführen, die diese Bedürfnisse präventiv im Auge behalten. Auch im Harvardkonzept ist zur Konfliktlösung das Artikulieren-Können der eigenen Bedürfnisse anstelle der Positionen der zentrale Hebel (s. Fisher et al. 2018). Das ist allerdings oft gar nicht so einfach. Oft bestehen Spannungsfelder z.B. zwischen dem Bedürfnis nach Sicherheit, Zugehörigkeit, Anerkennung und Stimulation, Freiheit, Autonomie. Eidenschink (2003) postuliert auf der Ebene der Beziehungsbedürfnisse drei Spannungsfelder, die zur Regulation der Wohlbefindens bewusst gemacht und ggf. ausgeglichen werden können (Abb. 1). Die Kernfrage ist hier „Was brauche ich? Was ist mir wichtig?“ und „Wie balanciere ich diese Spannungsfelder? Wo hat sich ggf. die Balance verschoben?“ Nicht nur Manager müssen das austarieren, sondern auch die Mitarbeiter:innen in agilen Teams. Durch die Notwendigkeit zur (Selbst-)Steuerung ist hier jede/r Führungskraft.
 

Abb. 1: Grundbedürfnisse zur Regulation des Wohlbefindens

Ein vereinfachtes, ähnliches Modell (Abb.2) findet sich bei Breidenbach und Rollow (2023, S 102):

Der Umgang mit diesem und anderen Spannungsfeldern und Dilemmata-Situationen erfordert oft Therapie oder Selbsterfahrung. Er erfordert Selbstreflexion und die Fähigkeit, Grund- und Beziehungsbedürfnisse zu erkennen und auszudrücken. Für die alltägliche Praxis beschreiben z.B. Breidenbach und Rollow (2019) den Team-Checkin und -Checkout als Möglichkeit, das derzeitige Befinden, Gefühle und Bedürfnisse auszudrücken.

Eine hilfreiche Integration des Spannungsfelds von Zugehörigkeit/Sicherheit und Autonomie/Selbstbestimmung stellt das Autonomie-Leitbild der TA dar, da es beides umfasst. Im Gegensatz zu festgefahrenen Mustern und schlechten Gewohnheiten (in der TA „Skript“ genannt, Steiner, 2009) ermöglicht Autonomie, im Sinne von Selbstverwirklichung, Fähigkeit zum unverzerrten eigenen Denken, Unabhängigkeit von gesellschaftlichen Normen und bewusste Achtsamkeit im Zusammensein, ein erfolgreiches, selbstbestimmtes und erfülltes Leben in Gemeinschaft.

Zusammengefasst wird Autonomie mit drei Fähigkeiten umschrieben:

  •  Bewusstheit/Achtsamkeit: die Dinge unvoreingenommen und unabhängig wahrzunehmen, sich eine eigene Meinung zu bilden.
  • Spontaneität/Flexibilität: auch in stressvollen Situationen verschiedene Verhaltensoptionen zu besitzen und alternative Lösungen zu bedenken.
  • Kontaktfähigkeit/Kooperation: im Kontakt zu bleiben, sich gegenseitig zu unterstützen und auch über weite Entfernungen Nähe und Bindung aufrecht zu erhalten.

Im Beispiel von Jana war eine Balance genau dieser Fähigkeiten wichtig. Zunächst hatte sie viele kritische und konfliktreiche Ereignisse auf sich selbst bezogen. Durch Supervision und Reflexion gelang es ihr, eine eigene professionelle Meinung zu bilden, sich vom Geschehen zu distanzieren, in verschiedenen Lösungsszenarien zu denken und letztlich sich mit den Beteiligten an einen Tisch zu setzen und ein Gespräch zu führen.

Lesen Sie im zweiten Teil zum Thema Steigerung der Konfliktfähigkeit agiler Teams die ausführliche Darstellung der Punkte

  1. Methoden des Bondings und der Dialogorientierung
  2. Ein Anwendungstool zum Umgang mit Konflikten: Radical Collaboration

Literatur

Bergmann, Frithjof (2017): StadtFabrik. Neue Arbeit. Neues Design – Frithjof Bergmann im Gespräch mit Harald Gründl. YouTube

Bergmann, Frithjof (2020): Neue Arbeit, neue Kultur. Arbor Verlag

Bergmann, Frithjof (2021): Die Freiheit leben. Arbor Verlag

Breidenbach, Johanna und Rollow, Bettina (2019): New Work needs Inner Work. Vahlen Verlag

Breidenbach, Johanna und Rollow, Bettina (2023), Die entfaltete Organisation. Vahlen Verlag

Eidenschink, Klaus (2003), Warum Führen Stress verursacht. Wirtschaft und Weiterbildung Nov/Dez 2003

Edmondson, Amy C. (2020), Die angstfreie Organisation. Vahlen Verlag

Kohlrieser, George (2013), Führen und Fördern. Wiley Verlag

Mautsch, Friederich & Metzger, Jan (2019), Gut führen! Schäffer-Pöschel Verlag

Steiner, Claude (2009): Wie man Lebenspläne verändert. Junfermann Verlag

Tamm, Jim (2019): Radical Collaboration. Harper Business Verlag

Fisher, Roger; Ury, William und Patton, Bruce (2018): Das Harvard Konzept. Deutsche Verlagsanstalt

Links

Spielregeln im Konflikt: Bedürfnisse erkennen und Gefühle respektieren

Erwartungen an den Schlichter: Mit welcher Einstellung Mediation gelingen kann

Autor:in

Management-Beraterin und Lehrtrainerin

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