New Work – Methoden des Konfliktmanagements im agilen Bereich

Teil 2: Bonding und psychologische Sicherheit

Im ersten Teil dieses Artikels beschrieb Jutta Kreyenberg die Ausgangssituation und die Relevanz von selbstgesteuertem Zusammenarbeiten von Teams. War es zu Beginn der agilen Bewegung die Hoffnung, Konflikte durch gute Tools zu vermeiden, so zeigt die Erfahrung, dass auch agile Teams nicht konfliktfrei sind.

    Dieser zweite Teil schließt an die Methoden zur Steigerung der Konfliktfähigkeit agiler Teams an, indem zwei weitere Punkte in den Fokus genommen werden:

    • Methoden des Bondings und der Dialogorientierung
    • Ein Anwendungstool zum Umgang mit Konflikten: Radical Collaboration

    Methoden des Bondings und der Dialogorientierung

    Ist erst einmal Bewusstheit für sich selbst und die eigenen Bedürfnisse vorhanden (vgl. Teil 1 des Artikels), kann es ein Stück weiter nach außen gehen, in die Beziehungsarbeit. Derzeit wird viel von psychologischer Sicherheit gesprochen. Das Konzept „psychologische Sicherheit“ wurde 1999 von der Harvard-Professorin Amy Edmondson begründet und meint Sicherheit innerhalb der Gruppe, zwischenmenschliche Risiken einzugehen zu können und sich gehört zu fühlen (Edmondson, 2020). Sie ist gekennzeichnet durch Offenheit, gleiche Redeanteile, soziale Empathie, positive Fehler- und Lernkultur und die Wertschätzung individueller Stärken und Fähigkeiten.

    In Konflikten ist oft das Gegenteil der Fall: Wenn Menschen sich dort ungeschützt oder angegriffen fühlen, werden endokrine und hormonelle Prozesse in Gang gesetzt, die auf Gefahrenabwehr zielen. Wir verlieren dann bis zu 20% unserer rationalen Handlungsfähigkeit, werden emotional und irrational.  

    Beispiel: Die Mitarbeiterin eines agilen Teams berichtet davon, dass es vorgesehen war, eine flexible Aufgabenteilung durchzuführen. Sie selbst hatte sich jahrelang technisch und fachlich weiterentwickelt und musste nun erleben, dass ihr “angestammtes” Gebiet von jedem, der gerade Zeit hatte, übernommen wurde. Sie fühlte sich wertlos und in ihrem Expertentum nicht mehr geschätzt. In der Folge zog sie sich mehr und mehr zurück und fühlte sich nicht in der Lage, mit diesem Konflikt umzugehen.

    Wir greifen zu Abwehrmechanismen, wenn wir uns unsicher fühlen, um unangenehme Gefühle, die drei zentralen psychologischen Ängste, zu vermeiden: nicht bedeutsam, nicht kompetent oder nicht liebenswert zu sein.

    George Kohlrieser (2013) spricht hier von der Notwendigkeit einer „Secure base“. Er bezieht das auf Führungskräfte, die psychologische Sicherheit vermitteln, indem sie „Ruhe bewahren, das Individuum akzeptieren, das Potenzial wahrnehmen, zuhören und nachfragen, kraftvolle Botschaften aussenden, auf das Positive konzentrieren, Risikobereitschaft fördern, intrinsische Motivation anwenden und Ansprechbarkeit signalisieren“ (S. 53). So trauen sich Teammitglieder dann, offen zu sprechen und Risiken einzugehen. Solche Fähigkeiten zu erwerben und anzuwenden hilft agilen Teams, Konflikte anzusprechen und zu klären.

    Darüber hinaus stellen diese Fähigkeiten die Grundlage für eine sichere Handhabung der Phasen des Bonding-Kreislaufs dar (Abb 3.). Dabei versteht Kohlrieser unter Bonding „das Eingehen einer Verbindung, die mehr körperliche, emotionale, geistige und/oder spirituelle Energie erzeugt, als die beteiligten Personen unabhängig voneinander erzeugen könnten“ (S. 78). Diese Definition erinnert sehr an den von Teams postulierten „Synergieeffekt“, der sich jedoch nicht automatisch einstellt, sondern ein aktives Tun der Mitglieder bedeutet.

    Kohlrieser beschreibt, wie durch gelungene Bindungen und Trennungen die eigene Identität und Konfliktlösungsfähigkeiten erweitert werden. In Konflikten finden oft keine echten Bindungen und/oder beschwerende Trennungen statt.

    Sehen wir uns ein Beispiel von Jana an: Zunächst hatte sie nur auf der sachlich-formalen Ebene den Arbeitseinsatz von Tim verlangt. Tim (ein sehr erfahrener und kompetenter Mitarbeiter) eskalierte daraufhin mit der Androhung einer Kündigung. Auch Michael war darüber entsetzt. Indem Jana sich für sein Engagement bedankte, seine Leistung wertschätzte und ein offenes Gespräch über Unterstützungs- und Lösungsmöglichkeiten führte, konnte die Situation beruhigt werden.

    Ein Bild, das Text, Screenshot, Schrift, Diagramm enthält. Automatisch generierte Beschreibung

    Abb. 3: Bonding-Kreislauf (Abb. aus Podcast „Transaktionsanalyse fürs Ohr“)

    Das richtige Maß an Bindung und Distanz/Trennung zu finden, ist nicht immer einfach. Menschen verwickeln sich in Ängsten, psychologischen Spielen und Abwehrmechanismen. Deshalb ist es wichtig, einen stabilen Dialog aufrecht zu erhalten.

    Der geschätzte Kollege Fritz Mautsch hat 2019 (S. 116ff) in seinem Buch „Gut führen!“ erfolgreiche Dialoghaltungen beschrieben, nämlich kurze Sequenzen (nicht mehr als drei Sätze am Stück), Aufrichtigkeit (sich mit allen Gefühlen und Gedanken einbringen), gegenseitigen Respekt (Wertschätzung), Zuhören (echtes Interesse zeigen), kluge Fragen (statt Behauptungen), Gedanken in der Schwebe halten (Zeit zum Nachdenken, kurze Pausen).

    Auch kann es hilfreich sein, sich der Dialogblockaden bewusst zu werden, die echte Bindung verhindern und Veränderungen, die mit Trennungen, Distanz, Verlassen der Komfortzone etc. verbunden sind, oft mit psychologischen Spielen und Eskalationen erschweren. Dialogblockaden sind: Abwertungen (negative Sichtweisen auf mich, andere, die Situation), Passivität (nichts für eine echte Problemlösung tun), Abstrahieren und Verallgemeinern, Überdetaillieren, Mangel an Direktheit und Aufrichtigkeit, Umdeuten und Redefinieren, Übertreiben.

    Es tut agilen Teams gut, zum einen aktiv Dialoge zur Konfliktprävention und -lösung einzusetzen. Die erfolgreichen Dialoghaltungen und Dialogblockaden könnten als Checkliste für Retrospektiven für eine kontinuierliche Verbesserung sorgen.

    Zum anderen ist eine Erweiterung des Bezugsrahmens hilfreich. Wenn Teams sich auf der Kommunikations- und Bindungsebene gut verstehen, können sie gemeinsam in die Vogelperspektive gehen und schauen: Was können wir beeinflussen? Was sind strukturell-systemische Faktoren, die wir woanders adressieren oder lösen müssen? Was können wir (momentan) nicht beeinflussen? Wie können wir vermeiden, dass strukturelle Probleme sich auf unsere Zufriedenheit und Zusammenarbeit auswirken? Mit wem außerhalb müssen/können/wollen wir in einen Dialog treten?

    Ein Anwendungstool zum Umgang mit Konflikten

    Im Modell „Radical Collaboration“ von Jim Tamm (2019) finden sich viele Ansätze der Transaktionsanalyse wieder. Er geht aus der Perspektive eines Arbeitsrichters an Konflikte heran und hat eine praktische Anleitung für den Umgang mit Konflikten entwickelt. Auch sein Ted-Talk in YouTube ist sehenswert. Dort zitiert er sehr eindrucksvoll eine Studie, in der kooperative mit konkurrierenden Hühnern verglichen wurden (“green zone” und “red zone” chicken). Zu Beginn befand sich das leistungsstärkste Huhn in der Gruppe der konkurrierenden Hühner. Doch es gab ein Problem: “Erster” waren die Hühner oft nicht aufgrund der besseren Leistung, sondern aufgrund der Wettbewerbsverdrängung. Dann wurden jeweils die am meisten kooperierenden und am meisten konkurrierenden Hühner mehrere Generationen lang herausgezüchtet. Es stellte sich heraus, dass die Produktivität der kooperativen Hühner um 260% zunahm und die konkurrierenden Hühner nur noch mit ihrer Hackordnung beschäftigt waren.

    Was haben die Hühner mit uns zu tun? Tamm meint dazu, so wie die “roten” Hühner fühlten sich seine Kontrahenten im Arbeitskampf meist am Ende des Prozesses. Irgendwann geht es nicht mehr um rechtliche Probleme, sondern darum zu gewinnen oder – bei eskalierten Konflikten – dass der andere verliert. Sein Modell besteht aus folgenden Phasen:

    1. Abwehrhaltung erkennen und anerkennen.
    Hier geht es darum, ein persönliches Frühwarnsystem für unsere Verteidigungsstrategien zu erstellen. Dieses ist das wichtigste von allen, denn wenn wir in einer Verteidigungshaltung sind, arbeiten wir mit Dialogblockaden, psychologischen Spielen und Eskalationsstrategien, die keinem helfen.
    Um den eigenen Ängsten auf die Spur zu kommen, hilft es, die äußeren Anzeichen von Abwehr mitzubekommen. Er nennt folgende Konfliktsymptome, die auf eine Verteidigungshaltung deuten: Rückzug, Schweigen, “Ich Ärmster” spielen, alles oder nichts denken, Recht haben wollen, das letzte Wort behalten wollen, andere beschuldigen oder beschämen, Verwirrung, plötzlicher IQ-Abfall, Nervösität/Hektik, höher körperlicher Energielevel, Katastrophendenken, zwanghaftes Denken, Grübeln, viel reden, mit Information überschütten und den eigenen Standpunkt durchsetzen.

    Die eigenen Abwehrsymptome zu erkennen ist die Grundlage für ein persönliches Frühwarnsystem. Auch Feedback hilft, damit die Alarmglocken immer früher klingeln.

    2. Selbstberuhigungsstrategien
    Wenn du die eigenen Abwehrmechanismen erkannt hast, können folgende Selbstberuhigungsstrategien helfen: sich körperlich beruhigen, körperliche Reaktionen verlangsamen, die Runde um den Block, Meditation, Atmung, Sport, negative Selbstgespräche durch positive ersetzen.

    So hat Jana zunächst auf den Eskalationsbrief von Tim mit Weinen und emotionaler Erregung reagiert, weil sie sich persönlich angegriffen fühlte. Erst als sie ihren Bezugsrahmen erweitern konnte und sich statt „Was habe ich nur falsch gemacht?“ innerlich sagen konnte „die haben dort ein Problem“ und das Ganze von der persönlichen auf die Systemebene heben konnte, konnte sie loslassen und Lösungen anstreben.

    Tamm schlägt hier folgende praktische Übung vor:

    A) Denke an einen Teamkonflikt, in dem du beteiligt warst:

    • Was waren deine Abwehrmechanismen?
    • Kennst du sie aus anderen Situationen?
    • Gehe in die Situation hinein – was sind körperliche Reaktionen?
    • Was sind deine Selbstgespräche?

    B) Erstelle einen Handlungsplan, der sich konkret auf die eigenen Abwehrmechanismen bezieht, z.B. Schweigen, wenn du sonst argumentierst, um von deinem Standpunkt zu überzeugen oder wenn du nervös bist, atme tief ein oder stelle dir entspannende Bilder vor. Wenn du verwirrt bist, verschaffe dir Zeit, wenn du immer das letzte Wort haben willst, stelle dir einen Sketch vor, in dem du das letzte Wort wiederholt in den Raum wirfst (Selbsthumor). Üben ist das Wichtigste, um “green zone” Verhalten zu beherrschen statt als “red zone chicken” zu enden!

    C) Welcher Umgang mit dem Konflikt wäre hilfreich?

    D) Beginne von vorne. Das ist ein Modell, in dem es um die Resilienz, um Balance, um Wiedergewinnung von Gesundheit, Leistung und Zusammenarbeit geht – es geht nicht um das perfekte Aufrechterhalten eines einmal gewonnenen perfekten Zustandes.

    Diese Übung kann jede/r für sich durchführen oder als Teamübung in Kleingruppen.

    3. Fazit
    Neue Formen der Arbeit wie Agilität und New Work erfordern viel mehr Selbststeuerung der beteiligten Menschen als herkömmliche Arbeitsformen. Sowohl die innere Stabilität und Emotionsregulierung im Umgang mit Bedürfnissen und Spannungsfeldern, als auch die Fähigkeit zur konstruktiven Ansprache von Konflikten sind unabdingbare Voraussetzungen für das Konfliktmanagement im agilen und selbstorganisierten Arbeitsumfeld. Die erläuterten Tools zum Erkennen eigener Bedürfnisse, zur Beruhigung von emotionalen Triggern bzw. Vermeidung von Abwehrstrategien und zur Gestaltung konstruktiver Beziehungen bieten die Grundlage für Konfliktprävention und -management. Damit sie wirksam werden können, ist darüber hinaus eine aktive Gestaltung der Organisationsstruktur und -kultur nötig, die in den meisten Fällen nicht durch isolierte Tools, sondern darüber hinaus stabilisierende Begleitungsprozesse sichergestellt werden kann.

     


    Literatur

    Bergmann, Frithjof (2017): StadtFabrik. Neue Arbeit. Neues Design – Frithjof Bergmann im Gespräch mit Harald Gründl. YouTube

    Bergmann, Frithjof (2020): Neue Arbeit, neue Kultur. Arbor Verlag

    Bergmann, Frithjof (2021): Die Freiheit leben. Arbor Verlag

    Breidenbach, Johanna und Rollow, Bettina (2019): New Work needs Inner Work. Vahlen Verlag

    Breidenbach, Johanna und Rollow, Bettina (2023), Die entfaltete Organisation. Vahlen Verlag

    Eidenschink, Klaus (2003), Warum Führen Stress verursacht. Wirtschaft und Weiterbildung Nov/Dez 2003

    Edmondson, Amy C. (2020), Die angstfreie Organisation. Vahlen Verlag

    Kohlrieser, George (2013), Führen und Fördern. Wiley Verlag

    Mautsch, Friederich & Metzger, Jan (2019), Gut führen! Schäffer-Pöschel Verlag

    Steiner, Claude (2009): Wie man Lebenspläne verändert. Junfermann Verlag

    Tamm, Jim (2019): Radical Collaboration. Harper Business Verlag

    Fisher, Roger; Ury, William und Patton, Bruce (2018): Das Harvard Konzept. Deutsche Verlagsanstalt

    Autor:in

    Management-Beraterin und Lehrtrainerin

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